Kein Löschungsanspruch von personenbezogenen Daten gegen Staatsanwaltschaft

Bayerisches_Oberstes_Landesgericht

Beschluss v. 27.01.2020 - Az.: 203 VAs 1846/19

Leitsatz

Kein Löschungsanspruch von personenbezogenen Daten gegen Staatsanwaltschaft

Tenor

1. Der Antrag des Beschuldigten vom 24. Juni 2019 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Coburg vom 29. Mai 2019 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

3. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.

Gegen den Antragsteller wurde bei der Staatsanwaltschaft Coburg ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Totschlags geführt, welches mit Verfügung vom 26.11.2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt:
Aus dem Arztbrief des Bezirksklinikums K. vom 13.7.2017 ergab sich aus den in der Anamnese enthaltenen Äußerungen des Beschuldigten der Verdacht, dass er seine Mutter C.M., verstorben am 8.1.2017, durch Vorenthalten von Medikamenten umgebracht hat. Das Ermittlungsverfahren ist aus tatsächlichen Gründen einzustellen. Der Beschuldigte bestreitet die Tat, auch dass er eine solche Äußerung getätigt habe. Die durchgeführten Ermittlungen haben keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergeben. C.M. verstarb am 8.1.2017 im Klinikum Coburg an einer Pneumonie. Aus den Krankenunterlagen C.M. ergeben sich keine Hinweise auf eine fehlende/unterlassene Medikamentengabe. Die Ermittlungen bei der Diakonie S., von der C.M. zu Hause gepflegt wurde, ergaben, dass C.M. 11.11.2009 durch die Diakonie S. betreut wurde. C.M. erhielt dreimal täglich durch eine Magensonde Medikamente. Die Medikamentengabe erfolgte ausschließlich durch Fachkräfte der Diakonie. Der Beschuldigte leidet zudem an schweren depressiven Episoden. Die Ermittlungen haben daher nicht den Nachweis erbracht, dass die Äußerung des Beschuldigten zutreffen könnte.

Mit Schreiben vom 2.5.2019 beantwortete die Staatsanwaltschaft Coburg die Anfrage des Beschuldigten zur Speicherung von dessen Daten vom 15.2.2019 wie folgt:
„Die persönlichen Daten des (...), insbesondere seine Personalien und persönlichen Verhältnisse, wurden zum Zwecke der Durchführung des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens, Aktenzeichen 105 Js 4832/17, der Staatsanwaltschaft Coburg gespeichert, § 483 StPO. Die Daten sind Bestandteil der Ermittlungsakte und wurden zur Durchführung der Ermittlungen gespeichert.“

Der Beschuldigte wurde auf seine Rechte auf Berichtigung und Löschung der Daten (§ 489 Abs. 1 und 2 StPO) sowie § 485 StPO hingewiesen. Die Aufbewahrungsfrist betrage vorliegend nach der Aufbewahrungsverordnung vom 29.7.2010 30 Jahre, beginnend mit Ablauf des Jahres 2018, in welchem die das Verfahren einstellende Entscheidung getroffen worden sei.

Mit Schreiben vom 9.5.2019 beantragte der Beschuldigte die genaue Angabe, welche konkreten Daten gespeichert seien.

Mit Schreiben vom 14.5.2019 teilte die Staatsanwaltschaft die Speicherung folgender Daten mit:
A. D. M., geb. ... 1970 in C., Geburtsname M., Geburtsland Deutschland, deutscher Staatsangehöriger, verheiratet, Beruf Diplom-Betriebswirt, wohnhaft ...
Stellung im Verfahren 105 Js 4832/18: Beschuldigter wegen Totschlags (§ 212 StGB), Tatzeit vom 10.9.2009 bis 8.1.2017, zum Nachteil von C.M.
Verfahren eingestellt am 26.11.2018, da Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld nicht nachweisbar sind.

Zum Schreiben des Bevollmächtigten des Beschuldigten vom 28.5.2019 teilte die Staatsanwaltschaft Coburg am 29.5.2019 ergänzend mit, dass § 170 Abs. 2 StPO als Verfahrensbeendigungsgrund nicht gespeichert sei.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24.6.2019, eingegangen am selben Tage, stellte der Beschuldigte daraufhin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die zuletzt mit Verfügung vom 29.5.2019, zugegangen am 3.6.2019, abgelehnte Löschung/Berichtigung seiner Daten. Er beantragte die Löschung der Daten, hilfsweise die Speicherung nur der notwendigen Daten sowie die zusätzliche Aufnahme von § 170 Abs. 2 StPO.

Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte am 30.8.2019 die Verwerfung des Antrags als unbegründet.

Hierzu hat sich der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10.9.2019 geäußert.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG statthaft und auch im Übrigen zulässig, ein Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) ist entbehrlich. In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg.

Der Antragsteller hat weder Anspruch auf Berichtigung, noch auf Löschung der durch die Staatsanwaltschaft Coburg gespeicherten Daten (§ 500 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, Abs. 2 BDSG, 489 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO).

1. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 ist am 26.11.2019 in Kraft getreten (BGBl. I 2019, S. 1774 ff.). § 500 Abs. 1 StPO erklärt hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten Teil 3 des Bundesdatenschutzgesetzes für entsprechend anwendbar. Insoweit handelt es sich um eine eigenständige Normierung ohne Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO); auch das Bayerische Datenschutzgesetz (BayDSG) ist damit grundsätzlich nicht anwendbar.

Der Antragsteller hat danach gemäß § 500 Abs. 1 StPO i.V.m. § 75 Abs. 1 BDSG einen Berichtigungsanspruch, wenn gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig oder unvollständig sind. Er hat nach § 500 Abs. 1 StPO i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG, § 500 Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 489 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO (als ergänzende Sonderregelungen) einen Löschungsanspruch hinsichtlich gespeicherter personenbezogener Daten, wenn das Ermittlungsverfahren erledigt ist, d.h. bei einer Einstellung, die die Wiederaufnahme (wie bei § 170 Abs. 2 StPO) nicht hindert, mit Eintritt der Verjährung.

2. Es besteht kein Berichtigungsanspruch, da die gespeicherten Daten nicht unrichtig und nicht unvollständig sind:

a) Der Tatvorwurf ist zu Recht gespeichert. Der Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens muss zweifelsfrei erfasst sein, insbesondere auch um den Eintritt der Verjährung konkret bestimmen zu können, der - wie vorgehend dargestellt - maßgeblich ist für den Zeitpunkt der Löschung. Der Senat erachtet es deshalb nicht für zielführend, gespeicherte Datensätze mit Phantasieparagraphen (§ 999 StGB) zu verfälschen. Das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der Speicherung der Daten geht dem Interesse des Beschuldigten an der Vermeidung einer Stigmatisierung vor.

Der Senat folgt nicht dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 20.07.2010 (Az.: 3 VAs 19/10). Von einer Speicherung des urpsrünglichen Deliktsvorwurfes wurde dort nur wegen der „Besonderheiten“ des Falles abgesehen; welche „Besonderheiten“ dies sein sollen, ist jedoch nicht ersichtlich. Vorliegender Fall weist dagegen von vorneherein keine Besonderheiten auf. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil - wie in vielen Ermittlungsverfahren - kein konkreter Tatnachweis geführt werden konnte, und nicht etwa wegen erwiesener Unschuld, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte.

b) Gespeichert ist, dass das Verfahren am 26.11.2018 eingestellt wurde, da Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld nicht nachweisbar sind. Es ist nicht erforderlich, dass die Vorschrift des § 170 Abs. 2 StPO auch noch ausdrücklich genannt wird, da die gewählte Formulierung eindeutig ergibt, dass eine Sachbehandlung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgt ist.

2. Es besteht auch kein Löschungsanspruch:

Wie oben ausgeführt, ist eine Löschung erst dann vorzunehmen, wenn das Ermittlungsverfahren erledigt ist, d.h. bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit Eintritt der Verjährung. Totschlag verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB in dreißig Jahren. Während des Laufs der Verjährungsfrist ist die Datenspeicherung zur Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft erforderlich, weil während dieses Zeitraums neue Beweismittel auftauchen könnten, die Anlass zur Wiederaufnahme der Ermittlungen geben. Eine Einstellung nach § 170 Abs, 2 StPO steht einer solchen Wiederaufnahme der Ermittlungen nicht entgegen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1, 27 Nr. 1 GNotKG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.