Bundesverfassungsgericht

Urteil v. 27.07.2005 - Az.: 1 BvR 668/04

Tenor

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn (...) gegen § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Präsidenten (...), der Richterin (...), der Richter (...) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2005 durch Urteil für Recht erkannt:

§ 33a Absatz 1 Nummer 2 und 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) in der Fassung von Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vom 11. Dezember 2003 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 414) und in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 2005 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 9) ist mit Artikel 10 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Sachverhalt

vgl. Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) und damit gegen die Ermächtigung der Polizei, personenbezogene Daten durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu erheben.

I.

Im Jahre 1994 wurde die Polizei in Niedersachsen ergänzend zu ihrer bisherigen Aufgabe der Gefahrenabwehr ermächtigt, Vorbereitungen zu treffen, um künftige Gefahren abwehren zu können, sowie im Rahmen der Gefahrenabwehr auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes - NGefAG - in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 18. Februar 1994 <nds s.>). </nds>

Der Aufgabenzuwachs war verbunden mit einem Ausbau der polizeilichen Befugnisse, darunter auch der Schaffung des Rechts zur Aufzeichnung von Fernmeldedaten sowie zum verdeckten Einsatz technischer Mittel, und zwar auch in der Wohnung.

Ende 1997 wurde das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz durch das Gesetz zur Änderung datenschutz-, gefahrenabwehr- und verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 28. November 1997 (Nds.GVBl S. 489) erneut novelliert. Seitdem ist das heimliche Abhören in Wohnungen auch zur Abwehr der Gefahr zulässig, jemand könne eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen (§ 35 Abs. 2 Nr. 2 des Gefahrenabwehrgesetzes). Nach den Ereignissen des 11. September 2001 wurde das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz erneut geändert, und die polizeilichen Befugnisse wurden weiter ausgebaut.

Durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vom 11. Dezember 2003 (Nds.GVBl S. 414) erhielt das Gesetz, das unter dem 19. Januar 2005 (Nds.GVBl S. 9) neu bekannt gemacht worden ist, wieder die frühere Bezeichnung "Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG)". Durch das Änderungsgesetz wurde die vom Beschwerdeführer hinsichtlich ihres Absatzes 1 Nummer 2 und 3 als verfassungswidrig gerügte neue Vorschrift des § 33a Nds.SOG geschaffen.

§ 33a Nds.SOG lautet wie folgt:

Datenerhebung durch Überwachung der Telekommunikation

(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation erheben

1. zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person über die in den §§ 6 und 7 genannten Personen, wenn die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise nicht möglich erscheint, sowie unter den Voraussetzungen des § 8 über die dort genannten Personen, wenn dies für die Aufklärung des Sachverhalts unerlässlich ist,

2. über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint, sowie

3. über Kontakt- und Begleitpersonen der in Nummer 2 genannten Personen, wenn dies zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung einer Straftat nach Nummer 2 unerlässlich ist.

(2) Eine Datenerhebung nach Absatz 1 kann sich auf

1. die Inhalte der Telekommunikation einschließlich der innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte,

2. die Telekommunikationsverbindungsdaten (§ 33 Abs. 1) oder

3. die Standortkennung einer aktiv geschalteten Mobilfunkendeinrichtung beziehen. Die Datenerhebung darf nur an Telekommunikationsanschlüssen der in Absatz 1 genannten Personen erfolgen. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(3) Die Datenerhebung nach Absatz 1 bedarf der Anordnung durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Polizeidienststelle ihren Sitz hat. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. In der Anordnung sind neben der Person, gegen die sich die Datenerhebung richtet, Art und Umfang der zu erhebenden Daten sowie die betroffenen Telekommunikationsanschlüsse zu bezeichnen. Für das Verfahren gilt § 19 Abs. 4 entsprechend.

(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Polizei die Anordnung treffen. Die Zulässigkeit der polizeilichen Anordnung ist schriftlich zu begründen. Die Entscheidung trifft die Behördenleitung. Diese kann ihre Anordnungsbefugnis auf Dienststellenleiterinnen oder Dienststellenleiter sowie Bedienstete des höheren Dienstes übertragen. Die richterliche Bestätigung der Anordnung ist unverzüglich zu beantragen.

(5) Aufgrund der Anordnung hat jeder, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienstleistungen erbringt oder daran mitwirkt, der Polizei die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu ermöglichen.

Für die Telekommunikationsüberwachung haben insbesondere die folgenden weiteren Normen Bedeutung:

§ 30

Grundsätze der Datenerhebung

(1) bis (3) (...)

(4) Über die Erhebung personenbezogener Daten mit besonderen Mitteln oder Methoden ist die betroffene Person zu unterrichten. Die betroffene Person ist mit der Unterrichtung auf die Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung und das Auskunftsrecht nach § 16 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes hinzuweisen. Die Unterrichtung erfolgt, sobald dies möglich ist, ohne die Maßnahme zu gefährden.

(5) Die Unterrichtung nach Absatz 4 unterbleibt,

1. solange Zwecke der Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit entgegenstehen,

2. wenn zur Durchführung der Unterrichtung in unverhältnismäßiger Weise weitere Daten über die betroffene Person erhoben werden müssten oder

3. solange durch das Bekanntwerden der Datenerhebung Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich schutzwürdige Belange einer Person oder die weitere Verwendung einer Vertrauensperson (§ 36 Abs. 1) oder der weitere Einsatz einer Verdeckten Ermittlerin oder eines Verdeckten Ermittlers (§ 36a) gefährdet werden.

Ist nach Satz 1 Nr. 3 eine Unterrichtung auch nach Ablauf von fünf Jahren nicht erfolgt, so ist dies der Landesbeauftragten oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz mitzuteilen.

(6) Die Datenerhebung nach den §§ 33a bis 36a darf sich nicht gegen Personen richten, die in Strafverfahren aus beruflichen Gründen zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (§§ 53 und 53a der Strafprozessordnung, § 12 Abs. 3 und § 23 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes), soweit Sachverhalte betroffen sind, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht, es sei denn, die Datenerhebung ist zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich. Die Polizei darf solche Personen nicht von sich aus als Vertrauenspersonen (§ 36 Abs. 1 Satz 1) in Anspruch nehmen.

§ 31

Datenerhebung

(1) Die Polizei kann über jede Person Daten erheben, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe nach § 1 Abs. 4 oder 5 erforderlich ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn Verwaltungsbehörden zur Abwehr einer Gefahr tätig werden.


(2) und (3) (...)

§ 38

Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten, Zweckbindung

(1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können die von ihnen im Rahmen der Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten speichern, verändern und nutzen, wenn dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem sie erhoben worden sind. Erlangen die in Satz 1 genannten Stellen rechtmäßig Kenntnis von personenbezogenen Daten, ohne sie erhoben zu haben, so dürfen sie diese Daten zu einem der Gefahrenabwehr dienenden Zweck speichern, verändern oder nutzen. Die Zweckbestimmung ist bei der Speicherung festzulegen. Können die zur Zweckerreichung nicht erforderlichen Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand gelöscht werden, so dürfen diese Daten gemeinsam mit den Daten nach den Sätzen 1 und 2 gespeichert, aber nur nach Maßgabe des § 39 Abs. 5 verändert und genutzt werden.

(2) Die mit besonderen Mitteln oder Methoden erhobenen personenbezogenen Daten sind zu kennzeichnen.

(3) und (4) (...)

§ 39

Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu anderen Zwecken

(1) Die Speicherung, Veränderung oder Nutzung von personenbezogenen Daten zu anderen als den in § 38 Abs. 1 genannten Zwecken ist nur zulässig, wenn

1. die Daten zur Erfüllung eines anderen Zwecks der Gefahrenabwehr erforderlich sind und sie auch zu diesem Zweck mit dem Mittel oder der Methode hätten erhoben werden dürfen, mit denen sie erhoben worden sind,

2. bis 4. (...)

(2) bis (4) (...)

(5) Die Speicherung, Veränderung oder Nutzung personenbezogener Daten über unvermeidbar betroffene Dritte und über Personen, die mit einer ausgeschriebenen Person angetroffen worden sind (§ 37 Abs. 2), ist nur zulässig, wenn dies zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Satz 1 ist auch auf die Veränderung und Nutzung von Daten anzuwenden, die nach § 38 Abs. 1 Satz 4 gespeichert worden sind.

(6) (...)

Einzelne Tatbestandsmerkmale des § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds.SOG definiert § 2 Nds.SOG wie folgt:

10. Straftat von erheblicher Bedeutung:

a) ein Verbrechen, mit Ausnahme einer Straftat nach den §§ 154 und 155 des Strafgesetzbuchs,

b) ein Vergehen nach den §§ 85, 86, 86a, 87 bis 89, 98, 99, 129, 130, 174, 174a, 174b und 176 des Strafgesetzbuchs, ein in § 138 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs genanntes Vergehen und ein nach dem geschützten Rechtsgut und der Strafandrohung vergleichbares Vergehen,

c) ein banden- oder gewerbsmäßig begangenes Vergehen,

d) die Teilnahme an einer solchen Straftat;

11. Kontakt- oder Begleitperson: eine Person, die mit einer anderen Person, von der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird, in einer Weise in Verbindung steht, die erwarten lässt, dass durch sie Hinweise über die angenommene Straftat gewonnen werden können.

II.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

1.

Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde legt er dar, er wende sich zwar unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, die noch eines Vollzugsakts bedürfe. Vorliegend bestehe aber die Besonderheit, dass die angegriffene Norm eine Verletzung seines Fernmeldegeheimnisses und anderer Grundrechte erlaube, die ihm unbekannt bleibe. Er habe keine Gelegenheit, vor, während oder nach Durchführung des Grundrechtseingriffs eine gerichtliche Kontrolle herbeizuführen. Auch werde er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch Maßnahmen, die auf der angegriffenen Rechtsnorm beruhten, in seinen Grundrechten berührt.

Die Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG seien so weit gefasst und unbestimmt, dass er jederzeit damit rechnen müsse, zum dort genannten Personenkreis gezählt und überwacht zu werden. Gegenwärtig betroffen sei er auch durch § 33a Abs. 1 Nr. 3 Nds.SOG, der eine vorbeugende heimliche Überwachung der Telekommunikation von Kontaktpersonen zulasse. Er besitze einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, in dem auch vertrauliche Telefongespräche geführt würden. Er könne nicht ausschließen, dass sich unter seinen Bekannten Personen im Sinne von § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG befänden und er von der Polizei zu deren Kontaktpersonen gezählt werde.

2.

Der Beschwerdeführer sieht durch die angegriffenen Regelungen das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG verletzt. § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG führe dazu, dass seine Telefongespräche heimlich abgehört und aufgezeichnet werden könnten, ohne dass gegen ihn der Verdacht einer Straftat bestehe oder von ihm eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ausgehe. Die einschränkenden Voraussetzungen für eine Überwachung nach § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG genügten dem Grundrechtsschutz nicht.

Der Begriff der Tatsachen, welche die Annahme künftiger Begehung schwerer Straftaten rechtfertigten, sei so allgemein gehalten und unbestimmt, dass er die Anwendung der Norm nicht wirksam einzugrenzen vermöge. Auch die Einschränkung, nach der "die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich" erscheinen dürfe, lasse der Polizei einen äußerst weiten Beurteilungsbereich.

Schon wegen des Risikos, dass andere Maßnahmen von den Betroffenen bemerkt werden könnten, werde der Polizei die heimliche Telefonüberwachung regelmäßig als einzig mögliches Mittel der Vorbeugung erscheinen. Schließlich rechtfertige auch die Begrenzung der befürchteten künftigen Straftaten auf solche "von erheblicher Bedeutung" nicht den Grundrechtseingriff. Welche Straftaten unter diesen Begriff fielen, sei in § 2 Nr. 10 Nds.SOG zwar bestimmt.

Diese Norm enthalte aber unter Buchstabe b eine unzulässige Allgemeinklausel, nach der auch ein nach dem geschützten Rechtsgut und der Strafandrohung vergleichbares Vergehen eine Straftat von erheblicher Bedeutung darstellen könne. Im Übrigen fielen auch nicht besonders schwerwiegende Taten unter die Legaldefinition.

Auch § 33a Abs. 1 Nr. 3 Nds.SOG bewirke eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG. Die Voraussetzung, dass die Überwachung einer Kontakt- oder Begleitperson "zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung einer Straftat nach Nummer 2 unerlässlich" sein müsse, berücksichtige die Bedeutung des Grundrechts nicht gebührend. Die Voraussetzung sei schon dann erfüllt, wenn die Polizei der Auffassung sei, andere Möglichkeiten als die Überwachung des Personenumfelds des künftigen Straftäters stünden nicht zur Verfügung. Dies könne häufig der Fall sein, weil der Eingriff bereits ohne jeden konkreten Verdacht möglich sei.

Darüber hinaus verletzten die angegriffenen Vorschriften sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und beeinträchtigten ihn in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Er sei durch diese Normen ständig der Gefahr ausgesetzt, dass seine Telekommunikation heimlich von der Exekutive überwacht werde. Dieses beständige Wissen verhindere eine unbefangene Meinungsäußerung auch in privaten Telefongesprächen und betreffe damit den Kern seiner Privatsphäre.

Ergänzend führt der Beschwerdeführer aus, das Gesetz verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, weil die Überwachung ihm nicht mitgeteilt werde und es in der Folge unmöglich sei, während oder nach der Überwachung deren gerichtliche Kontrolle herbeizuführen. Der Richtervorbehalt könne dieses rechtsstaatliche Defizit nicht ausgleichen. Schließlich verstießen die Normen gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG und die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG geregelte Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege.

III.

Zur Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen: das Bundesministerium des Innern namens der Bundesregierung, die Niedersächsische Staatskanzlei, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, der Hessische Datenschutzbeauftragte, der Landesbeauftragte für den Datenschutz Rheinland-Pfalz, das Unabhängige Landeszentrum für den Datenschutz Schleswig-Holstein sowie der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz.

1.

Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Vorsorge für die Verfolgung künftig zu begehender Straftaten der konkurrierenden Gesetzgebung zuzuordnen, von der der Bundesgesetzgeber für den Bereich der Telekommunikationsüberwachung abschließend Gebrauch gemacht habe. Dem Land Niedersachsen stehe insoweit keine Gesetzgebungsbefugnis zu.

a) Die Regelung sei dem Strafverfahrensrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) zuzurechnen, da sie letztlich die Sicherung von Beweisen für ein künftiges Strafverfahren bezwecke. Der Bundesgesetzgeber habe in der Vergangenheit für eine Reihe von Maßnahmen zur Verfolgungsvorsorge von der Ermächtigung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gebrauch gemacht. Beispielsweise erlaube § 81b StPO die erkennungsdienstliche Behandlung eines Beschuldigten und damit die vorsorgliche Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die Erforschung und Aufklärung künftiger Straftaten. § 81g StPO ermögliche das Erstellen und Speichern von DNA-Identifizierungsmustern für Zwecke künftiger Strafverfahren.

Derzeit prüfe der Bundesgesetzgeber im Hinblick auf verschiedene Ermittlungsmaßnahmen die Möglichkeiten ihres Einsatzes im Vorfeld von Straftaten. Der Umstand, dass eine Tat noch nicht begangen sei, stehe der Zuordnung zum Strafverfahren nicht entgegen. Der zur Gesetzgebungskompetenz des Landes gehörenden Gefahrenabwehr könnten allenfalls solche Maßnahmen zugeordnet werden, die primär auf die Verhinderung der Straftat gerichtet seien und bei denen die Vorsorge für die Verfolgung nur als ein bei dieser Gelegenheit anfallendes Nebenprodukt erscheine.

b) Die Regelungen der Strafprozessordnung über die Verfolgung von Straftaten mittels Überwachung von Telekommunikationsanlagen seien abschließend. Der Bundesgesetzgeber habe die Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Strafverfolgung in den §§ 100a, 100b, 100h und 100i StPO nach Umfang, Zuständigkeit und Zweck, vor allem jedoch hinsichtlich der Voraussetzungen umfassend geregelt.

Wegen der besonderen Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses seien die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation von besonderen, hohen Voraussetzungen abhängig gemacht worden. So seien zur Begrenzung der Streubreite entsprechender Maßnahmen sowohl die Echtzeitüberwachung von Telekommunikation (§§ 100a, 100b StPO) als auch die Abfrage von Verbindungsdaten (§§ 100g, 100h StPO) vom Vorliegen eines erhöhten Grads des Anfangsverdachts abhängig. Ferner seien die genannten Maßnahmen nur zur Aufklärung von im Gesetz ausdrücklich bestimmten besonders schweren Straftaten beziehungsweise von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder solchen zulässig, die mittels Telekommunikation begangen werden und bei denen daher die Maßnahme zur Aufklärung besonders geeignet erscheine.

Dem kriminalistischen Erfordernis eines unter Umständen frühzeitigen Einsatzes der Telekommunikationsüberwachung sei dadurch Rechnung getragen worden, dass die Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen bereits im Vorbereitungsstadium der genannten Straftaten zulässig seien (unter Hinweis auf § 100a Satz 1, § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO).

2.

Die Niedersächsische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

a) Das Land habe im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz gehandelt. Die präventive Telekommunikationsüberwachung falle weder unter die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 73 Nr. 7 GG noch betreffe sie die konkurrierende Gesetzgebung für das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die Verhütung von Straftaten und die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten seien nicht dem Strafverfahren zuzuordnen. Die Verhütung von Straftaten sei Bestandteil der Gefahrenabwehr oder, soweit die Tatbegehung noch nicht hinreichend wahrscheinlich sei, des Vorfelds der Gefahrenabwehr.

Soweit die Telekommunikationsüberwachung nach § 33a Nds.SOG der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten diene, sei sie ebenfalls nicht Teil des Strafverfahrens. Die Zuordnung zur Bundeskompetenz setze voraus, dass der Zusammenhang zwischen den geregelten Maßnahmen der Verfolgungsvorsorge und einem künftigen Strafverfahren hinreichend eng und konkret sei. Bei den hier in Rede stehenden Regelungen sei der Zusammenhang jedoch lose.

Es würden zwar auch Daten über eine bestimmte Person und im Hinblick auf die mögliche Begehung einer bestimmten Straftat erhoben, die Datenerhebung geschehe aber nicht im Rahmen oder aus Anlass eines laufenden oder abgeschlossenen Strafverfahrens. Durch die Telekommunikationsüberwachung könnten Daten unterschiedlichster Art gewonnen werden, die möglicherweise auch nicht direkt als Beweis in einem Strafverfahren dienen sollten, sondern erst zu weiteren Beweismitteln führen müssten.

Maßnahmen mit dem Ziel der Straftatenverhütung ließen sich häufig nicht von Maßnahmen mit dem Ziel der Verfolgungsvorsorge trennen. Eine einheitliche Regelung beider Aspekte sei unerlässlich und gehöre wegen des hauptsächlichen Ziels der Verhinderung von Straftaten zur Gesetzgebungskompetenz des Landes. Es bestehe eine deutliche Nähe der Verfolgungsvorsorge durch Telekommunikationsüberwachung nach § 33a Nds.SOG zur Straftatenverhütung, die Gegenstand der Gesetzgebungskompetenz des Landes sei.

Prägend sei die gleichermaßen bestehende Eingriffsvoraussetzung der auf Tatsachen gestützten Annahme, dass jemand eine Straftat begehen werde. Damit werde die primäre Aufgabe der Polizei angesprochen, die Begehung einer Straftat im Vorfeld zu verhindern und dafür zu sorgen, dass ein Schaden erst gar nicht eintrete. Fraglich sei, ob es in dieser Situation überhaupt Maßnahmen geben werde, die ausschließlich dem Ziel der Verfolgungsvorsorge dienten.

b) Die angegriffenen Regelungen seien auch materiell rechtmäßig. Sie ermöglichten zwar umfassende und schwerwiegende Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG, die jedoch von dem Gesetzesvorbehalt des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG gedeckt seien. Die Normen seien insbesondere hinreichend bestimmt, entsprächen in ihrer Ausgestaltung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und enthielten Verfahrensvorkehrungen, die der Schwere und Heimlichkeit des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG Rechnung trügen.

Die Regelung ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale genüge den Bestimmtheitsanforderungen, weil sich der Bedeutungsgehalt des § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds.SOG mit juristischen Methoden ermitteln und auf den Einzelfall anwenden lasse. Die Verhältnismäßigkeit der Überwachung der Telekommunikation zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ergebe sich aus dem mit der Bekämpfung von Straftaten verfolgten legitimen und hochrangigen Zweck. Die Maßnahmen seien so ausgestaltet, dass sie das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit einerseits und nach Freiheit andererseits in einen angemessenen Ausgleich brächten.

Die Regelungen für die Telekommunikationsüberwachung würden ferner den verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 10 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG gerecht. Sie sähen für die Verarbeitung der durch Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung gewonnenen Daten Begrenzungen vor, die verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten.

So sei in § 33a Abs. 3 Nds.SOG für alle Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung ein Richtervorbehalt vorgesehen. Darüber hinaus sei der Betroffene nach § 30 Abs. 4 Nds.SOG über die Datenerhebung zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung der Maßnahme möglich sei. Außerdem unterliege die Telekommunikationsüberwachung der parlamentarischen Kontrolle nach § 37a Nds.SOG.

3.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Datenschutzbeauftragten der Länder, die sich im Verfahren geäußert haben, halten die Verfassungsbeschwerde für begründet. Sie führen hierfür im Wesentlichen folgende Gründe an:

§ 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds.SOG ermögliche Regelungen zur Initiativermittlung, für die dem Land die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für den Bund bestehende Regelungsbefugnis sei - weil es bei der angegriffenen Regelung im Kern um die Bekämpfung von Straftaten gehe - mit der Strafprozessordnung sowie anderen einschlägigen Gesetzen in abschließender Weise ausgeschöpft worden. Zudem stehe dem Bundesgesetzgeber nach Art. 73 Nr. 7 GG die alleinige Befugnis zu, Einschränkungen der Telekommunikation gesetzlich zu regeln.

Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden ferner unter den Aspekten der Bestimmtheit und der Klarheit der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG. Ansatzpunkt der Telekommunikationsüberwachung sei zwar die auf Tatsachen beruhende Einschätzung, dass künftig Straftaten begangen würden. Diese Einschätzung bleibe aber bloße Prognose. Nicht gefordert werde eine Plausibilität dieser Prognose etwa durch die Anforderung, dass bereits Straftaten von dem betroffenen Personenkreis begangen worden seien oder ein dahingehender Verdacht bestehe.

Die Prognose beziehe sich stattdessen auf ein in der Zukunft liegendes ungewisses Ereignis. Welcher Wahrscheinlichkeitsgrad gefordert werde, bleibe völlig offen. Gleichfalls würden keine einschränkenden Anforderungen an die Qualität der zu Grunde zu legenden Tatsachen gestellt.

Die vom Gesetz geforderten Tatsachen müssten unter Berücksichtigung kriminalistischer Erfahrung bewertet und oft mit Zusatzinformationen verknüpft werden, damit die Annahme möglich erscheine, eine Person werde künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen. Es handele sich letztlich nur um Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Verdachtsgewinnung oder Verdachtskonkretisierung.

Für den Betroffenen sei die Maßnahme nicht vorhersehbar. Er könne insbesondere nicht erkennen, ob die Behörde sein Verhalten als verdächtig oder neutral einstufe. Die weitere Voraussetzung, dass die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung bestimmter Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheine, enthalte keine wirksame zusätzliche Schranke.

Der Begriff der Vorsorge für die Verfolgung sei so weit und umfassend, dass er alle Datenerhebungen in Bezug auf die ins Auge gefassten, in irgendeiner Weise verdächtigen Personen umfasse. In noch stärkerem Maße würden die Bestimmtheitsbedenken für den in § 33a Abs. 1 Nr. 3 Nds.SOG genannten Personenkreis der Kontakt- oder Begleitpersonen gelten.

Die angegriffenen Regelungen seien unverhältnismäßig. Die Erforderlichkeit der präventiven Telekommunikationsüberwachung sei - abgesehen von der nicht angegriffenen Ermächtigung zur Gefahrenabwehr in § 33a Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG - nicht nachgewiesen. Auch sei abzusehen, dass die gesetzgeberischen Ziele, vor allem das der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus, nicht erreicht würden. Im Übrigen fehlten Normen zum Schutz des unantastbaren Kernbereichs der Persönlichkeit, insbesondere Überwachungsverbote in Bezug auf Gespräche zwischen engsten Familienangehörigen und sonstigen engen Vertrauten.

Der Gesetzgeber habe ferner seine Pflicht verletzt, Verwertungsverbote und Löschungsgebote hinsichtlich solcher Daten zu normieren, die unter Beeinträchtigung dieses geschützten Kernbereichs erhoben worden seien. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden auch hinsichtlich der in § 33a Abs. 3 Satz 2 und 3 Nds.SOG normierten maximalen Zeitspannen der Geltungsdauer der Überwachungsmaßnahmen. Schließlich sei die Regelung des § 30 Abs. 4 Nds.SOG mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.

IV.

In der mündlichen Verhandlung haben sich geäußert: der Beschwerdeführer, die Bundesregierung, die Niedersächsische Landesregierung, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, die Bundesrechtsanwaltskammer sowie der Leitende Kriminaldirektor Bruckert als sachverständige Auskunftsperson.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer ist durch die angegriffenen Vorschriften unmittelbar (I.) sowie selbst und gegenwärtig (II.) in seinen Grundrechten betroffen (vgl. BVerfGE 100, 313 354>; 109, 279 305 ff.>).

I.

Eine Verfassungsbeschwerde kann sich ausnahmsweise unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges Gesetz richten, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangt (vgl. BVerfGE 30, 1 16 f.>; 67, 157 169 f.>; 100, 313 354>; 109, 279 306 f.>). Gleiches gilt, soweit eine nachträgliche Bekanntgabe zwar vorgesehen ist, von ihr aber aufgrund weitreichender Ausnahmetatbestände auch langfristig abgesehen werden kann. Unter diesen Umständen ist effektiver fachgerichtlicher Rechtsschutz ebenfalls nicht gewährleistet (vgl. BVerfGE 109, 279 307>; Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, LKV 2000, S. 345 346>).

Die Datenerhebung durch Überwachung der Telekommunikation gemäß § 33a Nds.SOG erfolgt heimlich. Der Betroffene erfährt weder vor noch während der Durchführung von der Maßnahme, so dass zu diesem Zeitpunkt kein fachgerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann. Der Umstand, dass § 30 Abs. 4 Nds.SOG eine Unterrichtung vorsieht, sobald dies ohne Gefährdung der Maßnahme möglich ist, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Eine zeitnahe Kenntnis von der Maßnahme und eine daran anknüpfende Möglichkeit zur Überprüfung im gerichtlichen Verfahren sind nicht gewährleistet, weil § 30 Abs. 5 Nds.SOG umfangreiche Ausnahmetatbestände enthält.

Nach dieser Vorschrift unterbleibt die Benachrichtigung, solange Zwecke der Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit entgegenstehen (Nr. 1), wenn zur Durchführung der Unterrichtung in unverhältnismäßiger Weise weitere Daten über die betroffene Person erhoben werden müssten (Nr. 2) oder solange durch das Bekanntwerden der Datenerhebung Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich schutzwürdige Belange einer Person oder die weitere Verwendung einer Vertrauensperson oder der weitere Einsatz einer Verdeckten Ermittlerin oder eines Verdeckten Ermittlers gefährdet werden (Nr. 3). Insbesondere durch Nummer 3 kann die Mitteilung an die Betroffenen auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen sein.

II.

Der Beschwerdeführer ist durch die angegriffenen Vorschriften auch selbst und gegenwärtig betroffen.

Erfolgt die konkrete Beeinträchtigung - wie hier - zwar erst durch die Vollziehung des angegriffenen Gesetzes, erlangt der Betroffene jedoch in der Regel keine Kenntnis von den Vollzugsakten, reicht es für die Möglichkeit der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit aus, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die a