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Bundesgerichtshof

Bechluss v. 16.08.2012 - Az.: I ZB 2/12

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Darmstadt - 21. Zivilkammer/Berufungskammer - vom 12. Dezember 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 300 €.

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger macht geltend, ihm seien am 30. März und 9. April 2011 ohne sein Einverständnis E-Mails mit Werbung für Reiseangebote der Beklagten zugesandt worden. Das Amtsgericht hat der auf Unterlassung und Zahlung von Abmahnkosten gerichteten Klage stattgegeben und den Streitwert auf 3.000 € festgesetzt.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteige (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Wert der Beschwer der Beklagten werde durch Aufwand und Kosten bestimmt, die für sie damit verbunden seien, dem titulierten Unterlassungsanspruch nachzukommen. Dieser Wert überschreite bei der Unterlassung von E-Mail-Werbung aber keinesfalls 600 €. Vielmehr schätze die Kammer den Aufwand für die Beklagte derart gering ein, dass der Ansatz der Mindestbeschwer von 300 € ausreiche.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1. Entgegen dem Vortrag der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes dadurch verletzt, dass es ihr den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert hat.

Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 30. November 2011 zum Aufwand, der mit der Umsetzung des Unterlassungsgebots verbunden ist, ausdrücklich auseinandergesetzt. Es ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es keinen nennenswerten Aufwand erfordert, die Daten des Klägers im System der Beklagten zu löschen und die E-Mail-Adresse des Klägers in eine Liste der für den Versand von Werbung gesperrten E-Mail-Adressen aufzunehmen. Damit ist auch für die Zukunft sichergestellt, dass der Kläger keine elektronische Werbung der Beklagten erhält, solange er sich nicht ausdrücklich und in einer gemäß den Anforderungen der Senatsrechtsprechung dokumentierten Weise damit einverstanden erklärt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 164/09, GRUR 2011, 936 Rn. 30 ff. = WRP 2011, 1153 - Double-opt-in-Verfahren).

Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte die a.             GmbH (nachfolgend: a.   GmbH) an der Nutzung der E-Mail-Adresse des Klägers hindern kann, soweit die Beklagte die a.   GmbH als Partner oder Werbedienstleistungsunternehmen mit Werbung für sich beauftragt hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist dafür nicht mehr zu tun als dann, wenn ein zunächst erteiltes Einverständnis zum Empfang von Werbemitteilungen später widerrufen wird. Es ist deshalb insbesondere nicht ersichtlich, dass es einer von der Beklagten einzuholenden strafbewehrten Unterlassungserklärung der a.   GmbH bedarf, um diese zu veranlassen, die E-Mail-Adresse des Klägers nicht für Werbung der Beklagten zu verwenden.

2. Der Beklagten ist der Zugang zur Berufungsinstanz auch nicht dadurch in zulassungsrelevanter Weise versagt worden, dass das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Dem Berufungsgericht ist in diesem Zusammenhang zwar ein Verfahrensfehler unterlaufen; dieser Fehler ist jedoch nicht entscheidungserheblich.

a) Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist, wie sich aus § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO ergibt, grundsätzlich dem Gericht des ersten Rechtszugs vorbehalten. Hat - wie im Streitfall - keine Partei die Zulassung beantragt, ist eine ausdrückliche Entscheidung entbehrlich; das Schweigen im Urteil bedeutet zumindest in diesem Fall Nichtzulassung (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 15). Ist das erstinstanzliche Gericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beschwer der unterlegenen Partei 600 € übersteigt, und hat es deswegen keine Prüfung der Zulassung der Berufung vorgenommen, so hat das Berufungsgericht, bevor es das Rechtsmittel mangels ausreichender Beschwer verwirft, grundsätzlich diese Zulassungsprüfung nachzuholen (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 Rn. 12; Beschluss vom 21. April 2010 - XII ZB 128/09, NJWRR 2010, 934 Rn. 18).

Abweichendes gilt allerdings dann, wenn das erstinstanzliche Gericht den Beklagten zur Erteilung einer Auskunft verurteilt und den Streitwert der Auskunftsklage auf mehr als 600 € festgesetzt hat. Denn der Streitwert der Auskunftsklage und die Beschwer des zur Auskunft verurteilten Beklagten fallen häufig so erheblich auseinander, dass kein Raum für die Annahme ist, der erstinstanzliche Richter habe aufgrund seiner Streitwertfestsetzung keinen Anlass gehabt, über die Zulassung der Berufung zu befinden. Das gilt insbesondere dann, wenn das erstinstanzliche Gericht das Urteil ohne Sicherheitsleistung und ohne Anordnung der Abwendungsbefugnis für vorläufig vollstreckbar erklärt und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen (§ 713 ZPO), oder wenn der Einzelrichter den Rechtsstreit entschieden und ihn nicht nach § 348 Abs. 3 ZPO der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 15 ff.; Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 14 ff.). In diesen Fällen verbleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass das Schweigen im erstinstanzlichen Urteil Nichtzulassung der Berufung bedeutet, wenn keine Partei die Zulassung beantragt hat.

b) Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall eine ausdrückliche Entscheidung des Berufungsgerichts darüber geboten, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO erfüllt waren.

Das Amtsgericht hat sein Urteil nur gegen Sicherheitsleistung und mit Anordnung der Abwendungsbefugnis für vorläufig vollstreckbar erklärt. Diesen Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist bei objektiver Betrachtung zu entnehmen, dass das Amtsgericht von einer Anfechtbarkeit seines Urteils ausgegangen ist und - mangels Zulassung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Zulässigkeit der Berufung schon aufgrund seiner Wertfestsetzung für die Klage auf 3.000 € angenommen hat. Dann ist davon auszugehen, dass das Schweigen zur Zulassung der Berufung im erstinstanzlichen Urteil nicht im Sinne einer Nichtzulassung zu verstehen ist, weil das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hatte, über die Zulassung der Berufung zu entscheiden. Das Berufungsgericht hatte diese Entscheidung deshalb nachzuholen.

c) Der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ist jedoch nicht erheblich, weil eine Zulassung der Berufung - wie der Senat selbst entscheiden kann - ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre (vgl. BGH, NJWRR 2010, 934 Rn. 21).

Es ist nicht ersichtlich, dass die für die Entscheidung des Amtsgerichts tragenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben oder dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Insbesondere sind die Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzungen einer Zustimmung zu E-Mail-Werbung im Double-opt-in-Verfahren durch die Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt (vgl. Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 164/09, GRUR 2011, 936 = WRP 2011, 1153 - Double-opt-in-Verfahren). Dasselbe gilt für die Frage des Einstehenmüssens beim E-Mail-Versand durch Dritte gemäß § 8 Abs. 2 UWG. Insoweit finden die geklärten Grundsätze der Haftung für Beauftragte, insbesondere Dienstleistungsunternehmen der Werbebranche, Anwendung, die auch im Rahmen von Partnerprogrammen für die E-Mail-Werbung gelten (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1972 - I ZR 19/72, GRUR 1973, 208, 209 = WRP 1973, 23 – Neues aus der Medizin; Urteil vom 25. November 1993 - I ZR 259/91, GRUR 1994, 219, 220 = WRP 1994, 175 - Warnhinweis; Urteil vom 7. Oktober 2009 - I ZR 109/06, GRUR 2009, 1167 Rn. 21 ff. = WRP 2009, 1520 - Partnerprogramm). Der Streitfall war auf der Grundlage dieser bereits entwickelten Grundsätze zu entscheiden.

Die von der Rechtsbeschwerde vorgetragene Befürchtung, dass mit der Begründung des Berufungsgerichts eine Verurteilung zur Unterlassung von E-Mail-Werbung praktisch nie berufungsfähig wäre, ist unbegründet. In allen Fällen, in denen ein Zulassungsgrund nach § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO vorliegt, hat das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung zuzulassen. In allen anderen Fällen ist es auch unter Berücksichtigung des Verfahrensgrundrechts auf effektiven Rechtsschutz nicht geboten, den Berufungsrechtszug zu eröffnen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.