Bundesverfassungsgericht

Urteil v. 13.02.2007 - Az.: 1 BvR 421/05

Tenor

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn (...), gegen

a)das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 2005 - XII ZR 227/03 -,

b)das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 29. Oktober 2003 - 15 UF 84/03 -,

c)das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 4. März 2003 - 37 F 37525/02 Kl -

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Präsidenten (...) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2006 durch Urteil für Recht erkannt:

Der Gesetzgeber hat es unter Verletzung von Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes unterlassen, ein rechtsförmiges Verfahren bereitzustellen, in dem die Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater geklärt und nur ihr Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden kann.

Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31. März 2008 eine derartige Regelung zur Feststellung der Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater zu treffen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Sachverhalt

s. Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwertbarkeit eines heimlich, ohne Zustimmung des betroffenen Kindes oder seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin zur Klärung der Vaterschaft eingeholten DNA-Gutachtens im Rahmen eines gerichtlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahrens und damit auch die Frage, ob das geltende Recht dem rechtlichen Vater eines Kindes eine hinreichende Möglichkeit zur Kenntniserlangung und Feststellung der Abstammung des Kindes von ihm einräumt.

I.

1.

§ 1592 BGB bestimmt, dass Vater eines Kindes entweder der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1) oder der, der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2), und schließlich der, dessen Vaterschaft nach § 1600 d BGB oder § 640 h Abs. 2 ZPO gerichtlich festgestellt ist (Nr. 3). Die Anerkennung der Vaterschaft bedarf der Zustimmung der Mutter (§ 1595 Abs. 1 BGB).

Bei späteren Zweifeln an der Vaterschaft kann gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat, ebenso wie der Mann, der aufgrund der Ehe mit der Mutter als rechtlicher Vater des von ihr geborenen Kindes angesehen wird, die Vaterschaft vor dem Familiengericht anfechten. Die Anfechtung hat nach § 1600 b Abs. 1 BGB binnen zwei Jahren ab dem Zeitpunkt zu erfolgen, zu dem der Mann von Umständen erfahren hat, die gegen seine Vaterschaft sprechen.

Dabei gilt im Verfahren zunächst die Vermutung, dass das Kind von ihm abstammt (§ 1600 c Abs. 1 BGB). Stellt sich im Anfechtungsverfahren heraus, dass der Mann nicht biologischer Vater des betroffenen Kindes ist, wird dies gerichtlich festgestellt mit der Rechtsfolge, dass er nicht mehr rechtlicher Vater des Kindes ist (§ 1599 Abs. 1 BGB). Ein Verfahren, das lediglich dazu dient, Kenntnis darüber zu erlangen, ob das Kind von seinem rechtlichen Vater abstammt, sieht das geltende Recht nicht vor.

2.

In der familienrechtlichen Literatur ist umstritten, welche Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substantiierung des Vortrags zu stellen sind, mit dem im Anfechtungsverfahren Zweifel an der Vaterschaft dargelegt werden müssen. Der Bundesgerichtshof hat dazu wiederholt ausgeführt, die schlichte Behauptung, nicht leiblicher Vater des Kindes zu sein, reiche nicht aus. Vielmehr müsse der Anfechtende Umstände vortragen, die objektiv geeignet seien, Zweifel an der Abstammung des Kindes zu wecken (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1998 - XII ZR 229/96 -, NJW 1998, S. 2976 2977>; Urteil vom 30. Oktober 2002 - XII ZR 345/00 -, NJW 2003, S. 585 585>).

Dies sei erforderlich, um das betroffene Kind vor Klagen ins Blaue hinein zu bewahren (vgl. BGH, NJW 1998, S. 2976 2977>). Allerdings bedürfe es nicht des Vortrags von Umständen, die es wahrscheinlich machten, dass der Anfechtende nicht der Vater des Kindes ist. Vielmehr reiche aus, wenn sie es nicht ganz fernliegend erscheinen ließen, dass möglicherweise ein Anderer Vater des Kindes ist.

3.

Molekulargenetische Erkenntnisse und darauf fußende Untersuchungsmethoden machen es seit einiger Zeit möglich, erheblich präziser als mit früher angewandten Verfahren und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, ob ein Kind von dem Mann, der rechtlich als sein Vater gilt, abstammt. Dies geschieht durch Abgleich der genetischen Erbsubstanzen von Vater und Kind, zur noch besseren Bestimmung auch von der Mutter, wobei jeweils kleinste Körperpartikel als Untersuchungsmaterial ausreichen (siehe hierzu Ritter/Martin, Der Amtsvormund 1999, S. 663).

Auf einer solchen so genannten DNA-Analyse basieren die Gutachten, die die Gerichte heute üblicherweise in Vaterschaftsanfechtungsverfahren einholen, wenn sie nach entsprechendem schlüssigen Vortrag des Anfechtenden in die Beweisaufnahme eintreten.

Mittlerweile werden solche Untersuchungen, für die sich die Bezeichnung "Vaterschaftstest" eingebürgert hat, auch von privaten Laboren zu erschwinglichen Preisen für jedermann angeboten. Dies ermöglicht es Männern, die Zweifel an ihrer Vaterschaft hegen, mit Hilfe kleinster, vom Kind und von sich genommener Körperpartikel als genetische Untersuchungsproben auch heimlich und ohne Wissen des Kindes und seiner Mutter oder gar gegen deren Willen eine solche Untersuchung in Auftrag zu geben und hierdurch zu erfahren, ob ihre Zweifel an ihrer Vaterschaft begründet sind.

Allerdings entsprechen die Labore nicht immer den inzwischen für solche Analysen in den Richtlinien der Bundesärztekammer für die Erstattung von Abstammungsgutachten (vgl. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 99, Heft 10, S. A 665) aufgestellten Qualitätsstandards, was die Aussagekraft der Ergebnisse mindert.

4.

Das Land Baden-Württemberg hat im Jahre 2005 dem Bundesrat den "Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Persönlichkeitsrechte bei Abstammungsuntersuchungen" zugeleitet (BRDrucks 280/05). Nach diesem Entwurf soll § 1600 BGB ein Absatz 5 hinzugefügt werden, nach dem es einer anfechtungsberechtigten Person im Sinne von § 1600 Abs. 1 BGB erlaubt sein soll, ohne Einwilligung des betroffenen Kindes und seiner Mutter zur Vorbereitung einer Anfechtung der Vaterschaft eine genetische Untersuchung durchführen zu lassen und zu diesem Zwecke Proben vom Kind zu gewinnen, sofern die Untersuchung nach den anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft die Klärung der Vaterschaft verspricht.

Auch der Freistaat Bayern hat dem Bundesrat einen "Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie" zugeleitet (BRDrucks 369/05). Danach soll ein neuer § 1600 f BGB geschaffen werden, der einer anfechtungsberechtigten Person im Sinne von § 1600 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen das Kind auf Einwilligung in eine gen-diagnostische Abstammungsuntersuchung und auf Gewinnung einer hierfür erforderlichen genetischen Probe einräumt.

Außerdem soll § 1628 BGB ein zweiter Absatz hinzugefügt werden, nach dem das Familiengericht dem anderen Elternteil auf dessen Antrag die Entscheidung über die Einwilligung in eine gendiagnostische Abstammungsuntersuchung und die Gewinnung von genetischen Proben überträgt, wenn sich die Eltern über die Durchführung der Untersuchung nicht einigen können. Schließlich sieht der Entwurf vor, § 1629 Abs. 2 BGB einen weiteren Satz anzufügen, nach dem bei einer Entscheidung nach § 1600 f BGB auch ein Entzug der Vertretung des Kindes nach Absatz 2 Satz 3 in Betracht kommen soll.

Ein im Juni 2006 vorgestellter Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein "Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" sieht eine Neuregelung des Verfahrens in Abstammungssachen vor, wozu nach einem neuen § 178 FGG neben Verfahren auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses sowie der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Anerkennung der Vaterschaft auch Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft zählen, die nach dem ebenfalls neuen § 180 Abs. 1 FGG auf Antrag eingeleitet werden. Nach dessen Absatz 2 sollen in dem Antrag das Verfahrensziel und die betroffenen Personen bezeichnet werden. Eine Begründung soll nicht erforderlich sein.

Zur Begründung dieser beabsichtigten Neuregelung wird ausgeführt, damit werde die Verfahrensposition des Anfechtenden gegenüber dem geltenden Recht wesentlich gestärkt. Durch die Überführung des Abstammungsverfahrens in ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit könne das Begründungserfordernis eines Anfechtungsantrags gänzlich entfallen.

Auf eine zivilprozessuale Schlüssigkeit des Antrags komme es dann nicht mehr an. Das Gericht habe den Sachverhalt einschließlich der Frage, ob die jeweilige Anfechtungsfrist eingehalten worden ist, von Amts wegen aufzuklären.

II.

1.

Der Beschwerdeführer hatte 1994, kurz nach der Geburt des später beklagten Kindes, wirksam anerkannt, Vater dieses Kindes zu sein. Er hatte während der gesetzlichen Empfängniszeit des Kindes mit der Kindesmutter Geschlechtsverkehr und lebte nach der Geburt des Kindes mit diesem und der Mutter, die allein für das Kind sorgeberechtigt ist, bis Anfang 1997 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen.

Im Jahre 2001 erhob er erstmals eine Vaterschaftsanfechtungsklage, bei der er sich auf ein Gutachten stützte, das ihm eine auf 10 % verminderte Zeugungsfähigkeit attestiert hatte. Mit seinem Begehren blieb er in beiden Instanzen ohne Erfolg. Nach Auffassung der Fachgerichte war das Gutachten nicht geeignet, Zweifel an der Vaterschaft des Beschwerdeführers zu wecken.

a) Im Jahre 2002 holte der Beschwerdeführer ohne Kenntnis der Mutter des Kindes bei einem privaten Labor ein gendiagnostisches Gutachten ein, dem als Untersuchungsmaterial sein Speichel und ein nach seinen Angaben vom Kind benutztes Kaugummi zugrunde lagen. Als ihm das Gutachten bestätigte, es sei mit 100 % auszuschließen, dass die beiden Probenspender Vater und Kind seien, erhob er erneut Vaterschaftsanfechtungsklage und stützte sich dabei auf das Ergebnis dieser Untersuchung.

Mit hier angegriffenem Urteil vom 4. März 2003 wies das Familiengericht die Klage ab. Sie sei unbegründet, da die heimlich veranlasste Vaterschaftsuntersuchung wegen gravierender Verstöße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes sowie gegen das Bundesdatenschutzgesetz und wegen des Eingriffs in das Sorgerecht der Mutter rechtswidrig und deshalb nicht verwertbar sei.

Das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes könne gegenüber dem Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung nicht als höherrangig angesehen werden. Die verminderte Zeugungsfähigkeit des Beschwerdeführers könne keine Berücksichtigung finden, weil über sie als nicht hinreichender Umstand für Zweifel an seiner Vaterschaft bereits rechtskräftig entschieden worden sei.

b) Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Oberlandesgericht mit Urteil vom 29. Oktober 2003 zurück. Zur Begründung führte es aus, das vorgelegte Untersuchungsergebnis sei nicht geeignet, Zweifel an der Vaterschaft des Beschwerdeführers zu wecken. Es enthalte entgegen den Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten keinerlei Identitätsfeststellung der untersuchten Personen.

Somit stehe nicht fest, ob das untersuchte Material von den Parteien des Ausgangsverfahrens stamme. Darüber hinaus sei der heimlich eingeholte Vaterschaftsnachweis prozessual nicht verwertbar, weil er auf rechtswidrige Weise erlangt worden sei. Eine heimliche gen-analytische Untersuchung verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes in seiner Ausformung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, denn die Entscheidung über die Preisgabe der genetischen Daten eines Menschen stehe allein ihm oder im Falle seiner noch nicht hinreichenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit seinem sorgeberechtigten Elternteil zu.

Diesem verfassungsrechtlich geschützten Recht des Kindes stehe das Recht des Vaters auf Kenntnis der Vaterschaft gegenüber. Die Abwägung der jeweils geschützten Interessen führe nicht zu einem Überwiegen der Interessen des Vaters. Ein privater Vaterschaftstest sei zwar grundsätzlich zum Nachweis der Abstammung geeignet. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Herkunft der untersuchten Proben nicht eindeutig gesichert sei.

c) Schließlich wies der Bundesgerichtshof die hiergegen gerichtete Revision mit Urteil vom 12. Januar 2005 zurück. Die Weigerung der Mutter und gesetzlichen Vertreterin des Kindes, die Einholung des DNA-Gutachtens nachträglich zu genehmigen und in seine Verwertung einzuwilligen, begründe noch keinen, die Anfechtungsklage schlüssig machenden Anfangsverdacht. Sie stelle auch keine Beweisvereitelung dar, denn ein solches Verhalten sei Ausfluss des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Kindes.

Dieses Recht würde ausgehöhlt, wenn eine solche Weigerung die Vaterschaftsanfechtungsklage eröffnen würde mit der Folge, dass die Informationen, die dieses Grundrecht schützen wolle, dann immer im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegen den Willen des Betroffenen preisgegeben werden müssten. Erst recht könne die Weigerung der Mutter, der Verwertung bereits rechtswidrig erlangter Informationen nachträglich zuzustimmen, nicht als ein die Anfechtungsklage eröffnender Umstand gewertet werden.

Wenn das Gesetz eine Verpflichtung zur Duldung von Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsehe, könne die Weigerung der Mutter nicht dazu herangezogen werden, diese Voraussetzungen zu bejahen.

Auch die Vorlage eines heimlich eingeholten DNA-Gutachtens sei zur Darlegung von Umständen, die einen Anfangsverdacht erwecken, nicht geeignet. Insoweit komme es nicht auf die Rüge des Beschwerdeführers an, das Berufungsgericht habe versäumt, Beweis darüber zu erheben, ob eine der untersuchten Proben auch tatsächlich von dem Kinde stamme. Auch wenn feststünde, dass das untersuchte genetische Material von den Parteien herrühre, sei dieses Gutachten weder als Beweismittel noch als Parteivortrag im Vaterschaftsanfechtungsverfahren verwertbar.

Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung schließe auch das Recht auf Unkenntnis ein. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht hinter dem Interesse des Vaters an der Feststellung seiner Nichtvaterschaft zurückstehen müsse, halte der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Jede DNA-Untersuchung greife in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht in Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Dieses Recht dürfe nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Die Einschränkung dürfe nicht weiter gehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich sei. Dem Schutz des Grundrechts eines jeden Menschen, die Untersuchung seines Genoms grundsätzlich von seiner Zustimmung abhängig zu machen, dienten auch Art. 5 der Allgemeinen Erklärung zum menschlichen Genom und zu den Menschenrechten, Art. II-68 des Entwurfs der Verfassung der Europäischen Union, Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und, soweit es sich um das Recht des Kindes handele, Art. 8 Abs. 1 und Art. 16 der UN-Kinderkonvention.

Dieses Recht sei auch bei der Verwertung von Beweisen und Erkenntnissen im gerichtlichen Verfahren zu beachten. Denn der Richter habe kraft Verfassungsgebots zu prüfen, ob bei der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften im Einzelfall Grundrechte berührt würden. Treffe dies zu, habe er diese Vorschriften im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden, die bei deren Anwendung berührt würden. Dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes stehe ein ebenfalls aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitendes Recht des Vaters auf Kenntnis seiner Vaterschaft gegenüber, das nicht als höherwertig anzusehen sei.

Dies zeige sich schon daran, dass seine Durchsetzung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren durch die gesetzliche Fristenregelung wesentlich eingeschränkt sei, während das Recht des Kindes, der Erhebung und Verwertung seiner genetischen Daten zu widersprechen, keiner zeitlichen Schranke unterworfen sei. Auch habe sich der Gesetzgeber bei der Kindschaftsreform gegen ein Recht des Vaters entschieden, in jedem Fall die biologische Abstammung eines Kindes zu klären.

Zudem verleihe das Recht auf Kenntnis der eigenen Vaterschaft, selbst wenn es mit dem Grundrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gleichzusetzen sei, noch kein Recht auf Verschaffung einer solchen Kenntnis.

2.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Im Ergebnis begnüge sich der Bundesgerichtshof mit der Feststellung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des (Nicht-)Vaters sei nicht höherrangig gegenüber dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes. Mit der abstrakten Thematisierung der Vorrangfrage habe der Bundesgerichtshof verkannt, dass es vorliegend um eine konkrete Grundrechtskollision gehe, deren Auflösung im Sinne einer praktischen Konkordanz dadurch erschwert werde, dass die beiden Grundrechtsträger nicht isoliert einander gegenüberstünden.

Die Gerichte hätten deshalb die Frage nach dem Vorrang der jeweiligen Positionen bezogen auf den zu beantwortenden Einzelfall klären müssen. Dies sei nicht geschehen. So hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Beschwerdeführer nur kurze Zeit mit dem Kind zusammengelebt habe, das bei der Trennung erst zweieinhalb Jahre alt gewesen sei, sodass insoweit keine intensive soziofamiliäre Vater-Kind-Beziehung zwischen ihnen entstanden sei.

Dementsprechend sei das Persönlichkeitsrecht des Kindes durch die Infragestellung und Überprüfung der Vaterschaft nicht stark beeinträchtigt. Auch hätte die Tatsache der erheblich eingeschränkten Zeugungsfähigkeit des Beschwerdeführers in die anzustellende Gesamtbetrachtung der Sach- und Rechtslage einbezogen werden müssen. Dass im Vorprozess zur Bedeutung dieses Umstands rechtskräftig entschieden worden sei, ändere daran nichts.

Zusammen mit dem widersprüchlichen Verhalten der Kindesmutter, die erst nach Kenntnis des gutachterlichen Ergebnisses dessen Verwertung im Verfahren die Zustimmung verweigert habe, habe dies einen hinreichenden Anfangsverdacht begründet, der durch das Gutachten zusätzlich belegt worden sei.

Die vorliegende Einzelfallkonstellation spreche damit für eine Verwertbarkeit des heimlich eingeholten Vaterschaftstests. Der Gesetzgeber habe weder die Möglichkeit eröffnet, sich auf anderem Wege Kenntnis über die Abstammung eines Kindes zu verschaffen noch Vorkehrungen getroffen, wie die berührten Grundrechtspositionen in solchen Fällen im Anfechtungsverfahren auszugleichen seien.

Die Rechtsprechung habe den insofern bestehenden Interpretationsfreiraum in einer für den Beschwerdeführer unzumutbaren Weise genutzt. Mit ihren hohen Anforderungen an die Darlegungslast und die Schlüssigkeit des Vortrags zu Umständen, die Zweifel an der Vaterschaft wecken, stehe die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weil diese Anforderungen es einem Vater praktisch unmöglich machten, seine Vaterschaft überprüfen zu lassen und anzufechten.

Insofern sei zu begrüßen, dass nunmehr in Reaktion auf die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen der Bundesgesetzgeber in Überlegungen eingetreten sei, die Hürden für eine verfahrensrechtliche Klärung der Vaterschaft und deren Anfechtung herabzusetzen, beziehungsweise dass es gesetzgeberische Initiativen gebe, die es ermöglichen wollten, auch privat eingeholte Vaterschaftstests in das gerichtliche Verfahren einzuführen.

III.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz für die Bundesregierung, das Justizministerium Baden-Württemberg namens der Landesregierung, die Bayerische Staatsregierung, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, der Deutsche Familiengerichtstag, der Deutsche Juristinnenbund, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht, der Väteraufbruch für Kinder sowie der Verein Väter für Kinder Stellung genommen.

1.

Das Bundesministerium der Justiz vertritt die Auffassung, der Beschwerdeführer werde durch das in den angegriffenen Entscheidungen ausgesprochene Verbot der Verwertung eines heimlich durchgeführten Vaterschaftsgutachtens nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Bei der gebotenen Abwägung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen dürfe das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht hinter dem Interesse des klagenden Vaters an der Feststellung seiner Vaterschaft zurückstehen.

Ein heimlich durchgeführter Vaterschaftstest sei rechtswidrig und im Anfechtungsverfahren gegen den Willen des Kindes oder seines gesetzlichen Vertreters nicht verwertbar. Seine Erhebung stelle einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dar. Dabei sei nicht von Bedeutung, dass die heimliche Einholung eines solchen Gutachtens nach geltendem Recht nicht verboten oder unter Strafe gestellt sei.

Die Gerichte hätten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG bei der Verwertung von Tatsachen im fachgerichtlichen Verfahren grundrechtliche Schutzgebote zu beachten, die vor einer Offenbarung von Lebenssachverhalten schützten. Sie hätten demgemäß bei der Entscheidung, ob ein solches heimliches Gutachten in das Verfahren eingeführt werden dürfe, eine Abwägung zwischen dem der Verwertung entgegenstehenden informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes und den rechtlich geschützten Interessen des die Vaterschaft anfechtenden Vaters vorzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach darauf hingewiesen, dass es zu einer Intensivierung des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führe, wenn dieser in einer Situation vermeintlicher Vertraulichkeit erfolge. Diese Entscheidungen seien in ihrer Grundaussage auch im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte von Bedeutung.

Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergebe sich zwar das Gebot, eine Übereinstimmung von leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen, was auch verfahrensmäßig abgesichert sein müsse. Der Gesetzgeber habe bei den Regelungen über die Anfechtung der Vaterschaft aber auch den Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG zu beachten, der unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten zulasse, um zum Schutze des Familienfriedens zu verhindern, dass die Abstammung eines Kindes etwa bei jedem beliebigen Konflikt der Eltern in Frage gestellt werden könne.

Würde in einem Gerichtsverfahren einem Anfechtungsberechtigten erlaubt, heimlich, also ohne Einwilligung des Betroffenen und außerhalb eines staatlichen Gerichtsverfahrens verschaffte Beweismittel in das Verfahren einzuführen, die den entscheidenden Ausschlag über Erfolg oder Misserfolg seiner Anfechtungsklage geben könnten, wäre der Schutzzweck der gesetzlichen Einschränkungen des Anfechtungsverfahrens in Frage gestellt.

Allerdings könne auch ein privat eingeholter Vaterschaftstest im Verfahren verwertbar sein, wenn das Kind oder sein gesetzlicher Vertreter dem zustimme. Einem möglichen Interessengegensatz in der Position der Mutter bei der Frage der Zustimmung zur Einholung eines Gentests habe der Gesetzgeber durch die Vorschriften der §§ 1629, 1795, 1796 BGB Rechnung getragen. Danach könne die Vertretungsmacht der Mutter ausgeschlossen sein oder bei erheblichen Interessengegensätzen entzogen werden.

Die Bundesregierung beabsichtige, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung und damit auch die Frage des Verbots heimlicher Vaterschaftstests in einem Gendiagnostikgesetz zu regeln. Zudem werde im Bundesministerium der Justiz geprüft, wie durch flankierende Regelungen im Familienrecht